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Pubertät und Beziehung

Ich habe in den letzten Wochen ein Buch von Leo Martin mit dem Titel „Ich krieg dich“ gelesen. Es wurde von einem ehemaligen Agenten geschrieben und er legt in diesem Buch dar, wie er vorgegangen ist, um V-Leute anzuwerben. Dabei zieht er immer wieder Parallelen zu Alltagssituationen, denn der durchschnittliche Leser wird eher keine Agentenlaufbahn einschlagen und somit auch kein Handbuch für eine solche Vorgehensweise brauchen. Es finden sich aber sehr viele sehr nützliche Tipps darin, wie man auch mit unbequemen Zeitgenossen in einer Form umgehen kann, die beiden Seiten ihren Standpunkt lässt und doch keiner die Achtung vor dem Anderen verliert. Was jetzt hier etwas kompliziert klingt, ist in Wahrheit nicht so schwierig, wenn man sich die Mühe macht, und sich in die Gedanken- und Erlebniswelt des anderen hineinzuversetzen. Mir kam dabei die Idee, einige dieser Punkte auf die Familie und speziell auf das Zusammenleben mit (pubertierenden) Jugendlichen zu übertragen, da erfahrungsgemäß hier viele Gefahren lauern, die die Beziehung stark belasten können. Es werden also in den folgenden Wochen einzelne Punkte hier zu lesen sein.

Schauen wir zunächst auf die Situation der Jugendlichen selbst. Die Jugend ist eine Zeit des Umbruchs vom Kind zum Erwachsenen, eine Zeit der Identitätsfindung. Viele Fragen tauchen mehr oder weniger bewußt auf:

Wer bin ich?
Was macht mich aus, bzw. besonders?
Was kann ich gut, was nicht?
Zu welcher Gruppe gehöre ich oder möchte ich gehören?
Was muss ich dafür tun, um zu der gewünschten Gruppe zu gehören? (Wichtig sind hier äußere Merkmale wie Kleidung, Frisur, Make-up, Accessoires, Handies etc. aber auch Sprache, Teilnahme an bestimmten Veranstaltungen, Musik, Ideale…)
Ist das vereinbar mit den bisher bekannten Wegen?
Wie gewinne ich Abstand zu meinen Eltern, um eigene Wege zu gehen? uvm.

Wenn wir diese Fragen durchgehen (und das kann jeder auch einmal im Hinblick auf sein eigenes Leben tun, denn es gibt immer wieder Zeiten des Umbruchs, nicht nur in der Pubertät), kommen wir jeweils zu einer „Weggabelung“: das eine gehört zu mir, das andere nicht. Das macht meine Persönlichkeit aus, und davon distanziere ich mich. Nun ist diese Entscheidung nicht immer so einfach und eindeutig. Manches möchte man gerne können und eine bestimmte Fähigkeit soll zu mir gehören, aber ich schaffe es nicht, über meinen Schatten zu springen und bestimmte Dinge einfach zu tun (z. B. locker und selbstbewußt auf fremde Menschen zugehen und sie ansprechen, eine Rede halten oder sonst etwas anderes.). Gerade bei Jugendlichen sind Vorbilder ganz wichtig und heutzutage allzuoft unrealistisch. Denken wir an all die Top-Modells und andere Stars und Sternchen, die kometenhaft auftauchen und genauso schnell wieder verschwinden und vergessen sind. Es ist eine schnellebige Zeit, die es auch den Jugendlichen schwermacht, immer auf dem neuesten Stand zu sein, was heute als notwendig und wichtig postuliert wird.

In diesen schnellen Wandel kommen die Fragen, die wir oben aufgeführt haben. Es stellt sich also letztendlich die Frage nach grundlegenden Einstellungen. Dies ist aber auch der Punkt, den sich Eltern in diesem Zusammenhang fragen müssen:

Was wolllen Sie in der Erziehung oder vielleicht besser in der BEziehung zu Ihren heranwachsenden Kindern erreichen?

Halten Sie sich an Äußerlichkeiten auf (das Outfit gefällt nicht, oder die Musik…) oder interessieren Sie sich mehr  für die innere Einstellung und Werte Ihrer Kinder? Wissen Sie, warum sie bestimmte Dinge tun und sagen?
Sind Sie der sourveräne Begleiter Ihrer Kinder oder wirft Sie jedes non-konforme Verhalten in Ihrer Beziehung zu den Kindern zurück? Machen Sie Ihre Einstellung und Laune von der Laune Ihrer Kinder abhängig?

In der Zeit der Pubertät stellen Eltern oft fest, dass bisher übliche Erziehungsmuster nicht mehr greifen. Die Kinder bzw. Jugendlichen tun nicht mehr einfach das, was die Eltern gesagt und „angeordnet“ haben. Oft tun sie genau das Gegenteil, nur um eben nicht das zu tun, was die Eltern wollen. Dabei spielt es nicht immer eine Rolle, ob sie das, was sie stattdessen tun gut finden oder nicht. Es muss erst einmal anders sein.

Ich glaube, dass das ein erster wichtiger Punkt ist, den sich Eltern immer wieder vor Augen führen sollten, wenn es gerade mal wieder nicht so läuft. Immer wieder höre ich von Eltern:“Ich habe es ihr/ihm jetzt so oft gesagt, aber es tut sich nichts.“ oder auch die Frage der Eltern an die Kinder „Warum hast du das noch nicht erledigt?“ Je öfter Eltern das sagen, um so weniger Erfolg werden sie in den meisten Fällen haben. Es kommt eher zu einer Verschärfung der Situation, weil die Jugendlichen noch weniger von dem tun, was sie tun sollten, als vorher. Eine möglicherweise endlose Spirale aus Anforderungen, Widerspruch, Enttäuschungen und neuen Anforderungen entsteht. Was also tun?

Kehren wir zu der Frage zurück, was Sie als Erzieher bzw. Eltern von Ihren Kindern und Jugendlichen erwarten. Warum ärgert es Sie so, wenn sie nicht das tun, was Sie ihnen gesagt haben? Da könnte es verschiedene Gründe geben. Um hier nur einige zu nennen:

– Sie sehen Ihre Autorität als Elternteil in Frage gestellt
– Sie fühlen sich nicht beachtet oder ernstgenommen
– es ist reiner Machtverlust
– Sie fühlen sich in Ihrer Sorge um die Kinder falsch oder gar nicht verstanden, dabei meinen Sie es doch nur gut
– Sie wissen es doch besser und alle sollten auf Sie hören
– wenn die Kinder nicht das tun, was Sie ihnen sagen, brauchen sie Sie nicht mehr und Sie sind überflüssig, Sie haben keine Aufgabe mehr
– …

Sie merken schon, dass es hier nur um die Eltern geht.  Und je mehr Druck Eltern aufbauen, damit die Kinder und Jugendlichen das tun, was Sie wollen (um Ihre Bedürfnisse nach Macht, Verständnis… zu stillen), umso mehr werden sie sich von Ihnen abwenden.

Was wünscht sich also ein Jugendlicher auf seinem Lebensweg? Die spontane Antwort könnte lauten: Freiheit, Selbständigkeit, mal nicht das tun müssen, was die Eltern wollen, eigene Erfahrungen sammeln.

Sicher werden alle Eltern damit einverstanden sein, wenn ich sage, dass unsere Kinder selbständige und verantwortungsvolle Persönlichkeiten werden sollen. Dann gehört aber ein Handlungsspielraum, Freiheit und die daraus resultierenden Konsequenzen dazu. Die Kunst Jugendliche zu motivieren liegen weniger darin, ihnen alles mundgerecht vorzubereiten, als vielmehr darin, ihre Freiheit einmal auszuhalten. Und das kann sehr schwer sein. Auszuhalten,
– dass sie Termine verpassen und dafür Kritik einstecken müssen (vielleicht ziehen Sie sich noch selbst den Schuh an und ärgern sich, dass Sie sie nicht doch erinnert haben. Wie sieht das denn aus, wenn Ihr Sohn oder Ihre Tochter zu spät kommt. Achtung! Hier sind wir wieder bei Ihren eigenen Bedürfnissen nach Ansehen.),
– dass Fristen verstreichen, die wichtig für ihre Zukunft wären,
– dass sie nicht genügend arbeiten, um ein bestimmtes Ziel (z. B. einen besonders guten Abidurchschnitt) zu erreichen.

In der Zeit, in der Sie sich als Eltern zurücknehmen, machen die Kinder die meisten Erfahrungen und in der Regel wissen sie, dass sie sich in schwierigen Situationen immer an Sie wenden können. Wenn Sie sich nicht aufdrängen sind sie eher bereit zu fragen. Und das Fragen fällt leichter, wenn Sie sich in diesen Augenblicken zurückhalten mit Vorwürfen (weil schon einiges schiefgelaufen ist), Nachfragen nach den Beweggründen (Warum hast du das denn so gemacht? Warum hast du das denn nicht schon früher gemacht?) oder Sätzen wie: „Siehst du! Ich habe es ja gleich gesagt“ oder „Hättest du mich mal gleich gefragt!“ Diese Fragen verschließen das gerade einen Spalt breit geöffnete Visir der Jugendlichen, die allein durch die Frage quasi zugeben, dass sie ja Hilfe brauchen. Jeder – auch Sie als Eltern – würden gleich wieder zumachen, wenn Ihnen diese Fragen in so einer Situation begegnen würden. Die natürliche Reaktion ist meisten: „Dann eben nicht. Dich frage ich nicht mehr.“

Wenn es Ihnen geglückt ist, sich auf die Zunge zu beißen und sich bissige Kommentare zu verkneifen, ist es ein weiterer Schritt freundlich und sachlich an das Problem heranzugehen. In Therapie und Coaching heißt das „lösungsorientiert“, eben nicht die Beweggründe zu suchen, denn die sind meistens sowieso unbefriedigend für Eltern und letztendlich auch nicht zielführend. Vielleicht werden Sie sich über eine ehrliche Antwort, die lauten könnte „kein Lust“ oder „weiß auch nicht“ nur noch mehr ärgern. Lassen sie es bleiben! Schauen  Sie nach vorn! Was machen Sie nun gemeinsam aus der Situation? So werden ihre Kinder sie als hilfsbereit und kompetent erleben und nicht als nachtragend und besserwisserisch. Fragen Sie sich selbst, wie sie gesehen werden wollen. Hier schließt sich der Kreis, da wir mit dieser Frage auch begonnen haben.

Sollten die Emotionen doch einmal hochkochen, so gönnen Sie sich eine kleine Pause und treten Sie in Gedanken aus der Situation heraus. Fragen Sie sich, welche Handlungsoptionen Sie haben. Auch wenn das Sich-Ärgern eine erste spontane und nachvollziehbare Option ist, so ist sie sicher nicht die einzige! Versuchen Sie alles Positive aus der Lage herauszuholen; und wenn es nur die (missglückte) Initiative des Kindes ist überhaupt etwas zu versuchen. Die Jugendlichen dürfen auch ruhig merken, dass es Ihnen nicht immer leicht fällt die Ruhe zu bewahren und nach vorn zu schauen, aber es wird wie ein Samenkorn in ihre Kinder hineingelegt und sie werden von Ihnen lernen, mit schwierigen Situationen umzugehen.