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Wertschätzung

 

 

Wertschätzung ist heute in aller Munde und sicher ein wichtiges Thema. Doch oft scheint es mir, dass das immer für die anderen außerhalb der Familien gilt, für Freunde, Kollegen, Ehrenamtliche, Personen des öffentlichen Lebens. Wie sieht es mit der Wertschätzung zuhause aus? Ich denke jetzt nicht an besondere Situationen oder Leistungen wie gute Abiturnoten, Prüfungen oder tolle Begabungen. Ich meine zum einen den unscheinbaren Alltag mit all seinen verborgenen oder vielleicht selbstverständlichen Tätigkeiten, zum anderen die Situationen oder Phasen im Leben einzelner Familienmitglieder, die schwieriger sind, z. B. schlechte Schul-oder Prüfungsergebnisse, Pubertät, Probleme am Arbeitsplatz, Krankheit, Krisen allgemein.
Andere zu loben oder ihnen Aufmerksamkeit und Anerkennung zu schenken, wenn sie unseren Vorstellungen entsprechen oder außergewöhnlich sind, ist einfach. Es ist viel schwieriger sich die vermeintlich alltäglichen Dinge ins Bewusstsein zu rufen und dafür unseren Familienmitgliedern Wertschätzung und/oder Dankbarkeit entgegenzubringen. Wann haben Sie sich das letzte Mal dafür bedankt, dass das Haus oder die Wohnung sauber und ordentlich ist, die Steuererklärung pünktlich gemacht wurde, die Wäsche gewaschen und gebügelt ist oder der Rasen gemäht wurde? Klar, Sie können jetzt sagen, dass das eben die Aufgabe von xy war und dass das doch wohl selbstverständlich sein sollte. Und doch freuen sich alle Menschen über ein Dankeschön und das Gefühl gesehen zu werden.
Die nächste Stufe ist dann, aus einem Wust von guten und weniger guten oder mir persönlich weniger angenehmen Verhaltensweisen diejenigen herauszufiltern, die Anerkennung verdienen. Dies hilft vielleicht besonders in der Zeit der Pubertät aber genauso in Krisensituationen, in denen ein Familienmitglied vielleicht so unter Druck steht, dass er oder sie nicht „ganz er/sie selbst“ist und ein Verhalten an den Tag legt, dass sehr unangenehm ist (launisch, wütend, reizbar, schweigsam…).
Wie der Titel schon sagt, geht es hier um eine Haltung, d. h. jeder muss sich selbst prüfen und an sich arbeiten, wenn er merkt, dass er da Defizite hat. Um diese Haltung der Wertschätzung einzuüben, können sie damit anfangen, sich auf die positiven Dinge des Tages zu konzentrieren, wenn Sie dazu neigen, immer erst einmal „das Haar in der Suppe zu sehen“ oder über ein ausgeprägtes Problembewusstsein verfügen. Die selektive Wahrnehmung verleitet uns dazu, mehr von dem zu sehen, auf das wir uns konzentrieren. Schwangere kennen das Phänomen, auf einmal ganz viele Kinderwagen und Schwangere zu sehen, sobald sie von der eigenen Schwangerschaft wissen. Oder ein Mann kauft sich ein Auto in einer bestimmten Farbe, die nicht so üblich ist – Mann möchte ja etwas Besonderes – und auf einmal sieht er ganz viele davon auf der Straße. Was ist passiert? Ist Schwangerschaft plötzlich doch ansteckend oder hat das Marketing für diese Autofarbe ganze Arbeit geleistet? Im zweiten Fall vielleicht, wahrscheinlicher ist, dass er seine Aufmerksamkeit nun mehr auf diese Farbe gerichtet hat. Er hat vielleicht hin und her überlegt, Kataloge gewälzt, Freunde gefragt…
Unser Gehirn funktioniert nun einmal so. Wenn wir das wissen, können wir es bewusst einsetzen und zwar spätestens immer dann, wenn schwierige Zeiten kommen. Konzentrieren Sie sich bewusst auf die positiven Eigenschaften ihrer Mitmenschen und Familienangehörigen, denn es kann tatsächlich passieren, dass z. B. Eltern oder auch Lehrern nichts Positives mehr zu einem Kind einfällt, weil das Negative im Moment so überwiegt. Manchmal hilft da nur eine Liste mit allen positiven Dingen, die Ihnen zu dieser Person einfallen.
Was kann es positives geben, wenn die Pubertät gerade mal wieder ganz akut wird? Die Teenager sind dann besonders unordentlich, unorganisiert, nachts lange unterwegs und tagsüber zu nichts zu gebrauchen, jede Bitte um Mithilfe ist für sie eine Zumutung, Schule ist überbewertet und die Meinung und der Geschmack der Eltern quasi inakzeptabel. Ich gebe zu, dass es manchmal schwer fällt, etwas Positives zu finden, wenn ein launischer und unausgeschlafener Teenager beim Frühstück alle anderen zur Schnecke macht, weil sie ja sooo nervig sind.
Aber: immerhin ist er oder sie zum Frühstück erschienen und manchmal sprechen sie einfach aus, was sich Eltern auch denken aber nicht sagen, nämlich, dass die liebe Kleinen laut sind oder überdreht…
Mir erscheint wichtig, dass es Ihnen gelingt mit ihren jugendlichen Kindern im Gespräch zu bleiben. Lehnen Sie nicht dankend oder abfällig ab, mit ihnen einen Videoclip auf Youtube zu schauen auch wenn es nicht ihren Geschmack trifft oder hören Sie mit ihnen ihre Musik. Was auch immer. Keiner erwartet von Ihnen, dass Sie den Geschmack Ihrer Kinder teilen. Im Gegenteil, dann wäre es für die schon wieder uncool. Sie wollen und müssen sich gegen ihre Eltern abgrenzen! Sie müssen lernen damit umzugehen, Gegenwind zu haben, um später selbständig und eigenverantwortlich entscheiden zu können!
Bei allem Missfallen ihrerseits achten Sie aber darauf, dass Ihr Gegenüber – und das gilt nicht nur für Ihre Kinder sondern für alle „Gegenübers“ – nicht sein Gesicht verliert, wenn Sie Kritik üben. Wie schaffen Sie das? Machen Sie einen Unterschied zwischen der Sache, die Ihnen nicht gefällt, und der Person. Es ist ein Unterschied, ob Sie sagen „Du immer mit deiner lauten, nervigen Musik!“ oder „Die Musikrichtung trifft nicht meinen Geschmack.“
Auf diese Weise fällt es allen Beteiligten leichter, auch in einer aufgeladenen Stimmung auf einer sachlichen Ebene zu kommunizieren und einen halbwegs kühlen Kopf zu bewahren. Wann immer möglich, ist es sowieso besser mit Kritik zu warten bis sich alle Gemüter wieder beruhigt haben. Dann kann ihre konstruktive Kritik auch ankommen und wird nicht gleich abgeblockt. Rechnen Sie nicht damit, dass Sie gleich auf offene Ohren stoßen. Wenn Sie gedanklich vorwegnehmen (und aus eigener Erfahrung wissen), dass es nicht leicht ist kritisiert zu werden, können sie gelassener die Reaktion ertragen. Machen Sie innerlich eine Tür auf und lassen Sie den ersten wütenden Wortschwall durchlaufen und vertrauen Sie darauf, dass ihre Worte nachwirken.